So wurde das Obialto–Projekt die erste Studie, die systematisch die Signatur- Resonanzen und die Frequenzbänder der Bratsche erforscht hat. Auch die Faktoren, die als ausschlaggebend gelten für den Klang einer Geige – wie Schallgeschwindigkeit und Dichte des Holzes, Klopftöne, Wölbungsformen und Holzstärken in den Platten - wurden nun erstmalig auch für die Bratsche untersucht.
Und die Bratschenbauer, die selber Bratsche spielen, konnten 26 Obialto-Bratschen intensiv live spielen und ihre Hör- und Spieleindrücke mit den Baudaten abgleichen – ein unvergleichliches Erlebnis!
Für mich hatte das wirklich etwas von einer Erst-Kartographierung einer “terra incognita”...
Wie schön, dass es in Oberlin diese Tradition und diesen Enthusiasmus für Zusammenarbeit gibt, der dieses gemeinschaftliche Forschungsprojekt ermöglicht hat!
Anmerkungen:
1 VSA Summer Workshops in Oberlin/Ohio - www.vsaweb.org/Oberlinworkshops
2 Teilweise wird von Kollegen auch die Schreibweise "Obiealto" benutzt...
3 Psychoakustische Tests wie "Free Sorting Task" oder "Free Evaluation Task" werden seit einiger Zeit in der Akustik verwendet, um wiederholbare Bewertungen zu gewährleisten. Siehe hier im Bilbao test oder wie hier von Joe Curtin beschrieben.
4 Wer die Resultate der Akustik- Forschungsgruppe um Claudia Fritz im Einzelnen studieren möchte, findet hier den Link: ("The ObieAlto Project: looking for relationships between construction parameters & sound quality" - abstract for ISMA 2019)
Im Gegensatz zu den exakten Wissenschaften ist Erkenntnis im Geigenbau nicht immer in logischen Begriffen fassbar. Auch wenn es heute eine Vielzahl an Messmethoden gibt, lassen sich die Erfahrungen eines einzelnen Meisters nicht so einfach verallgemeinern.
In kleinen Kreisen von befreundeten Geigenbauer funktioniert diese Übertragung von Wissen noch am besten: Wenn man jahrelang zusammengearbeitet und die Haupt-Begrifflichkeiten geklärt hat, dann kann gemeinsames Forschen und der Austausch von Wissen erfolgen. Auch wenn wir nur selten Fragen formal-logisch lösen können, freuen wir uns doch über jede neue Entdeckung, die die weißen Flecken auf der Geigenbau - Weltkarte kleiner werden lässt.
Eine besondere terra incognita stellt die Bratsche dar: Weder die Musiker noch die Geigenbauer sind sich darüber einig, welches Klangbild anzustreben ist, und für die meisten Parameter wie Korpuslänge, Saitenlänge, F-Loch-Abmessungen bis zu den Stegmaßen gibt es keine klaren Richtwerte.
Eine große erste Expedition zur Kartierung des Viola - Kontinents war nun das Obialto - Projekt 2016 - 2019:
Auf dem VSA Oberlin Meeting 20161 haben wir uns mit einer Handvoll Bratschenbauern zunächst über unsere Erfahrungen und über die Zusammenhänge von Modell und Klang ausgetauscht, mit dem Ziel, ein neues gemeinsames Bratschenmodell zu zeichnen, das dann von allen Oberlin-Geigenbauern gebaut und verglichen werden kann.
Nach 10 Tagen und mehr als 50 gezeichneten Varianten hatten wir uns endgültig auf eine Form geeinigt - die Obialto. Nach diesem Entwurf wurden nun 60 identische Innenformen für die Oberlin-Geigenbauer angefertigt.
Am Entwurf beteiligt waren Alkis Rappas (Kingwood, TX), Eugene Holtier (Cleveland), Marilyn Wallin (Lincoln, NE), Peter Goodfellow (AUS), Raymond Schryer (CAN), Sam Zygmuntovicz (NY), William Scott (Minneapolis) und ich.
Ein großer Dank geht auch an Prof. Harry Mairson (Boston), der uns seine Software zum proportionalen Zeichnen zur Verfügung gestellt und uns tatkräftig unterstützt hat.
Das Strad Magazin schrieb 11/2016 einen Artikel dazu:
Im Frühjahr 2017 haben dann die beteiligten Oberlin-Bratschenbauer ihre eigene Viola über dieser Innenform gestaltet, gebaut, lackiert und dann zum nächsten Treffen mitgebracht:
26 Obialto-Bratschen waren im VSA Oberlin Meeting 20171 anwesend!
Alle beteiligten Bratschenbauer waren dazu aufgefordert, die wichtigsten 80 Bauparameter zu messen und zu notieren, sodass wir die Bratschen nicht nur äußerlich sondern auch von ihren inneren Abmessungen, ihren Gewichtsmaßen und Eigenresonanzen vergleichen konnten.
Unten der große runde Tisch im Oberlin College, auf dem alle mitgebrachten Instrumente präsentiert wurden!
Zur Evaluation der terra incognita “Bratsche” haben wir folgende Vergleichstests unternommen:
• Klangtest als Doppelblindstudie im Konzertsaal mit professionellem Bratscher, mit Evaluations-Fragebögen (thanks to Chris Sandvoss!)
• Die Abstrahlungs-Kennkurve von allen Bratschen wurde in einem schallarmem Studio ermittelt – dies wurde auf einem Curtin-rig mit einem Impact-hammer und zwölf Mikrofonpositionen gemessen. Die Kurven wurden mit George Stoppanis Software gemittelt, ausgewertet und sind unten zu sehen. (Dank an MJ Kwan und Bill Scott für die geduldige 14-Stunden-Mess-Session!)
• Eine professionelle Bratscherin hat im Tonstudio des Oberlin College eine Klangaufnahme aller Bratschen eingespielt – gleiches Stück, gleiche Mikrofonposition. Die Soundaufnahmen wurden anonymisiert und dann als grafische Symbole auf einer Computer-Desktopoberfläche abgelegt. (Dank an Yi-Ping Yang, Claudia Fritz und Felix Krafft!).
Probanden aus dem Oberlinmeeting sowie interessierte Musiker haben die Aufnahmen später frei nach Höreindrücken sortiert und bewertet.3 Eine Forschergruppe um Claudia Fritz (Sorbonne, Paris) hat im Jahr 2018/19 diese Sortierungen analysiert und Beziehungen zu Baudaten gesucht, ihre Ergebnisse sind auf der ISMA 2019 vorgestellt worden4.
• Dazu gab es Soundsessions in Kleingruppen, in denen Yi-Ping Yang die Bratschen vorspielte und detaillierte Kommentare zu Spieleigenschaften und Höreindrücken der Instrumente abgab.
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